Chloë: Die ganze Zukunft ist total vorprogrammiert wie ‘n Computer – das ist doch 'ne gängige Theorie oder?

Valentine: Das deterministische Universum, ja.

Chloë: Gut. Weil alles, wir eingeschlossen, nur ein Haufen Atome ist, die wie Billardbälle aneinanderklackern.

Valentine: Ja. Es gab mal jemand, Namen hab ich vergessen, um 1820 rum, der behauptet hat, daß man aus Newtons Gesetzen alles vorhersagen kann, was da kommt – das heißt, man bräuchte natürlich einen Computer so groß wie das ganze Universum, aber die Formel würde existieren.

Chloë: Aber es klappt nicht, oder?

Valentine: Nein.

Chloë: Das ist alles nur wegen Sex.

In einem früheren Posting habe ich mich mit dem Begriff des freien Willens beschäftigt, angestoßen durch den Aufsatz The Free Will Theorem von John H. Conway und Simon Kochen. (Warum “John H” Conway? Es einen anderen Mathematiker namens John B. Conway …)

Der Titel (schwer direkt zu übersetzen) suggeriert vielleicht, dass der Aufsatz beweist, dass es freien Willen gibt: Das aber ist unmöglich, da ein deterministisches Universum uns einfach die Illusion freien Willens geben könnte und uns gerade davon abhält, die Beobachtungen zu machen, die dessen Abwesenheit beweisen könnten.

Stattdessen beweisen die beiden etwas anderes, nämlich, dass, wenn der Mensch freien Willen hat, auch Elementarteilchen ihn haben müssen. (Zu beachten hier die Natur der logischen Implikation: der Satz kann auch stimmen, wenn die Prämisse der Implikation falsch ist. Es ist also durchaus möglich, dass der Mensch keinen freien Willen hat. Der Satz sagt dann nichts darüber aus, ob Elementarteilchen freien Willen haben.)

Aber auch diese Formulierung ist noch zu schwammig, als dass sie Grundlage eines mathematischen Beweises sein könnte. Um die genaue Aussage des Satzes zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen: Etwas Physik und Mathematik kommen ins Spiel, aber nichts, was sich der Schulmathematik entzieht. Ich versuche, es einfach zu halten:

Conway und Kochen beweisen den Satz mathematisch, indem sie drei physikalischen Fakten als Axiome eines logischen Systems betrachten. Sie nennen diese Fakten “SPIN”, “TWIN” und “FIN”:

SPIN

SPIN bezieht sich auf folgende physikalische Beobachtung: Elementarteilchen haben eine bestimmte Eigenschaft namens Spin. (Am einfachsten stellen wir uns vor, das Teilchen würde sich unentweg drehen, und der Spin gibt die Richtung der Drehungsachse an.) Der Spin lässt sich aber nicht direkt messen. Einige bestimmte Elementarteilchen lassen es aber zu, dass “das Quadrat des Spin in eine bestimmte Richtung w” gemessen wird. Wir “raten” also eine Richtung, messen dann, und bekommen dabei immer entweder die Zahl 0 oder die Zahl 1 heraus.

Das alles kann man eigentlich sofort wieder vergessen, wichtig ist nur, dass man an einem Elementarteilchen irgendeine Messung in einer bestimmten Richtung w** durchführen kann, und bekommt immer 1 oder 0 heraus.

Das Fakt “TWIN” besagt nun folgendes: Wenn diese Eigenschaft in drei Richtungen gemessen wird, die zueinander rechtwinklig sind, so kommen immer eine 0 und zwei 1en heraus. (Dies ist umfangreich experimentell überprüft.) Also entweder 1-1-0, 1-0-1 oder 0-1-1.

(Die Physiker unter den Lesern werden bemerken, dass das in der Quantenphysik alles nicht so einfach ist – “Messungen kommutieren in der Quantenphysik nicht notwendigerweise” – aber für unsere Zwecke reicht das.)

TWIN

TWIN bezieht sich auf die gleiche Messung wie SPIN: Es besagt, dass es möglich ist, zwei Elementarteilchen zu “Zwillingsbrüdern” zu machen. Diese Elementarteilchen können dann voneinander getrennt werden, und jetzt kommt der Clou: Wenn die oben erwähnte Eigenschaft von Teilen (“Spinquadrat”) bei beiden Teilchen in der gleichen Richtung gemessen wird, so kommt immer das gleiche heraus.

Auch dies hat man experimentell schon nachvollzogen.

FIN

FIN schließlich sagt folgendes: Information kann nur mit einer endlichen Höchstgeschwindigkeit übertragen von einem Ort A zu einem anderen Ort B übertragen werden.

(Dieses Fakt folgt aus der Relativitätstheorie und kann nicht experimentell nachgeprüft werden. Wenn es allerdings nicht gelten würde, könnte es keine Kausalität geben. (Autsch!) Darauf werde ich bei Bedarf später noch eingehen.)

Free Will Theorem

Hier jetzt das “Free Will Theorem” in seiner präzisen Formulierung (von mir übersetzt):

Falls die Auswahl der Richtungen, in denen die Eigenschaft von oben in einem Experiment gemessen wird, keine Funktion der Information ist, die dem Experimentator zur Verfügung stehen, dann sind auch die Messwerte des Elementarteilchens keine Funktion der Information, die dem Teilchen zur Verfügung stehen.

Auch das ist noch etwas kauderwelsch, aber fast schon verständlich. Der Formulierung des Satzes liegt ein Gedankenexperiment zugrunde:

Wir stellen uns einen Wissenschaftler vor, der eine Messung des “Spinquadrats” an einem Elementarteilchen durchführt, und zwar in drei Richtungen, die zueinander rechtwinklig sind – wie oben beschrieben.

Annahme ist, dass er sich frei entscheiden kann, in welchen Richtungen er das “Spinquadrat” misst. Dafür steht die Formulierung “keine Funktion der Information, die dem Experimentator zur Verfügung [steht]”. Das heißt, dass die Entscheidung nicht ausschließlich durch die Information bestimmt ist, die dem Experimentator zur Verfügung steht. Da zur Verfügung stehende Information immer aus der Vergangenheit kommt, heißt das also, dass der Experimentator eine Entscheidung treffen kann, die nicht von der Vergangenheit abhängt – und das ist die Definition des freien Willens in diesem Kontext.

Einmal tief Luft holen: Die gleiche Formulierung benutzt der Satz in bezug auf das Elementarteilchen. Der Satz sagt also: Wenn der Wissenschaftler sich frei für die Messrichtungen entscheiden kann, so kann sich das Elementarteilchen frei für das Messresultat entscheiden. Anders gesagt: Wenn der Wissenschaftler freien Willen hat, dann auch das Elementarteilchen.

Wie funktioniert der Beweis? ist hoffentlich die geneigte nächste Frage. Dazu mehr in einem Folgeposting.