Wahrlich nicht, dazu müßte die Zeit rückwärts laufen, und weil sie das nunmal nicht tut, müssen wir uns immerzu vorwärts rühren und uns dabei immerzu vermischen, aus Unordnung zu immer größerer Unordnung, bis überall Rosa ist, gleichmäßig und unveränderlich, und dann sind wir ein für allemal damit fertig. Das Ganze nennt sich auch Freier Wille oder Selbstdetermination. – Septimus

Septimus sagt diesen Satz im Zorn, aber nur im scheinbaren Unverstand: An der Oberfläche scheint er zu sagen, dass die Welt nicht nur deterministisch ist, sondern außerdem uns alle immer in die Richtung größerer Unordnung treibt. Bei Septimus besteht die Unordnung aus komplizierten amourösen Abenteuern mit peinlichen Verstrickungen.

Septimus' Replik hat aber (wie so oft bei Stoppard) noch eine tiefere Bedeutungsebene: Er bezieht sich nämlich auf ein früheres Statement von Thomasina zur Entropie. (Es ist der Reisbrei mit Marmeladenklecks, der beim Rühren immer rosaner und schließlich “überall Rosa” wird.) Und mit der Entropie bringt er die Zeit ins Spiel: Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik sagt, dass können uns in der Zeit immer nur vorwärts – in die Richtung größerer Unordnung – bewegen können. Die Zukunft ist also anders als die Vergangenheit, und das ist eine der Grundvoraussetzungen für den freien Willen. Aber warum ist das so? Was ist eigentlich genau gemeint, wenn wir vom “freien Willen” sprechen?

Wenn wir uns fragen, was mit irgendwas “genau gemeint” ist, ist es immer gut, wenn ein Mathematiker zur Hand ist, der sich damit beschäftigt hat. In Fall des freien Willens ist das der illustre John H. Conway, der zusammen mit Simon Kochen einen bemerkenswerten Aufsatz The Free Will Theorem verfasst hat. Der Waschzettel des Aufsatzes fängt an mit:

On the basis of three physical axioms, we prove that if the choice of a particular type of spin 1 experiment …

OK, das ist für den Laien (noch!) nicht besonders hilfreich, aber wer sich die Mühe macht, den Aufsatz zu lesen, stellt fest, dass er nicht ganz so voll von Physik-Kauderwelsch ist, wie vielleicht zu befürchten wäre. Das wichtigste ist aber erst einmal die Definition des Begriffs “freier Wille”:

“Freier Wille” ist die Eigenschaft eines X, die X befähigt, eine Entscheidung zu treffen, die unabhängig von der Vergangenheit des Universums ist.

(Mit X meinen wir meist einen Menschen oder ein anderes Lebewesen, aber auch dazu später noch mehr.)

Auch dieser Satz ist vielleicht nicht auf Anhieb zu verstehen, aber machen wir uns klar, dass der große Gegenentwurf zum freien Willen der Determinismus ist: Die zukünftige Entwicklung des Universums aus dessen aktuellem Zustand und der Anwendung der physikalischen Gesetze vollständig vorhersagen lässt – mithin die gesamte Entwicklung schon zum Zeitpunkt des Urknalls feststand, und alle zukünftigen “Entscheidungen” (der Begriff ist dann eigentlich bedeutungslos geworden) bereits jetzt feststehen. Conways Definition sagt einfach das Gegenteil davon.

Conway und Kochen begnügen sich aber nicht mit der Definition des freien Willens, sondern sie leiten mathematisch folgendes Resultat her:

Falls der Mensch freien Willen hat, so haben auch Elementarteilchen freien Willen.

Conway und Kochen beantworten also nicht die Frage, ob es freien Willen gibt. (Das wäre unmöglich.) Sie sagen aber, dass, wenn es freien Willen gibt, der Mensch nicht dessen einzige Quelle sein kann.

Wie machen die das? ist die naheliegende Folgefrage. Dazu mehr in einem Folgeposting.