Thomasina: Sagen Sie, bin ich der erste Mensch, der auf diesen Gedanken gekommen ist?

Septimus: Nein.

Thomasina: Ich hab doch noch gar nicht gesagt, welchen Gedanken!

Septimus: “Wenn alles, vom entferntesten Planeten bis zum kleinsten Atom unseres Gehirns, sich nach Newtons Bewegungsgesetzen verhält, was wird dann aus dem freien Willen?”

Septimus: Gottes Wille.

Thomasina: Nein.

Septimus: Sünde.

Thomasina: verächtlich Nein!

Septimus: Nun gut.

In zwei vorigen Postings habe ich mich mit dem Begriff des freien Willens und der Formulierung des Free Will Theorem beschäftigt. So langsam ist es damit an der Zeit, in den Beweis selbst einzusteigen. Hier nochmal die Formulierung des Satzes selbst:

Falls die Auswahl der Richtungen, in denen die Eigenschaft von oben in einem Experiment gemessen wird, keine Funktion der Information ist, die dem Experimentator zur Verfügung stehen, dann sind auch die Messwerte des Elementarteilchens keine Funktion der Information, die dem Teilchen zur Verfügung stehen.

In dieser sehr technischen Formulierung spielt die entscheidende Rolle der Begriff der Funktion: hier ist der mathematische Fachbegriff gemeint. (Außerdem spielt eine wichtige Rolle die Formulierung “Falls … dann”, die Chris Linder in einem separaten Posting unter die Lupe genommen hat.) Wie so oft gibt die Mathematik einem (fast) alltäglichen Begriff eine spezielle, ganz klar definierte mathematische Bedeutung, die mit der alltäglichen Bedeutung nicht viel gemein hat. Wer also die Formulierung des Free Will Theorem verstehen will, muß zunächst den Begriff der Funktion verstehen.

Der Begriff der “Funktion” in der Mathematik

Die Mathematik beschäftigt sich oft mit Mengen, also Sammlungen von Dingen, bei denen feststeht, was drin ist oder was nicht: Die Menge aller Teetassen, die Menge aller Menschen, die Menge aller ganzen Zahlen undsoweiter. Außerdem gibt es oft Paare – ein Paar ist ein Ding, das aus zwei anderen Dingen besteht, wie zum Beispiel das Paar aus der Zahl 5 und der kleinen Teetasse in meinem Schrank, oder das Paar aus Mike Sperber und der Zahl 17 oder ein Paar aus der Zahl 23 und der Zahl 42. Letzteres wird in der Mathematik als (23, 42) geschrieben. Entsprechend gibt es auch Menge aus Paaren:

{ (5, 7), (8, 9), (17, 25) }

ist eine Menge mit drei Paaren drin. (Die geschweiften Klammern kennzeichnen die Menge.)

Diese spezielle Menge kann man als Zuordnung oder Abbildung auffassen, die der Zahl 5 die Zahl 7, der Zahl 8 die Zahl 9 und der Zahl 17 die Zahl 25 eindeutig zuordnet. Das funktioniert nicht mit jeder Menge aus Paaren:

{ (5, 7), (8, 9), (17, 25), (5, 18) }

… ordnet der Zahl 5 sowohl die Zahl 7 als auch die Zahl 18 zu. Paarmengen, die eine eindeutige Zuordnung vornehmen, bei denen sich also das jeweils zweite Element jedes Paares sklavisch abhängig nach dem ersten richtet – wie die erste – heißen Funktionen.

Funktion der Vergangenheit

Conway und Kochen benutzen den Begriff der Funktion zunächst bei der Definition des Begriffs des freien Willens. Ursprünglich habe ich das so formuliert:

“Freier Wille” ist die Eigenschaft eines X, die X befähigt, eine Entscheidung zu treffen, die unabhängig von der Vergangenheit des Universums ist.

Wenn man die Formulierung umdreht, bedeutet die Abwesenheit des freien Willens also, daß X nur Entscheidungen treffen kann (so weit der Begriff “Entscheidung” noch zutrifft), die von der Vergangenheit abhängen. Mit anderen Worten ist der Vergangenheit eindeutig eine (und nur eine!) Zukunft zugeordnet. Der Mathematiker könnte also auch sagen:

“Freier Wille” ist die Eigenschaft eines X, die X befähigt, eine Entscheidung zu treffen, die keine Funktion der Vergangenheit des Universums ist.

Der Experimentator und die Funktion

Und noch einmal zurück zur Formulierung des Free Will Theorem. Die Prämisse heißt:

Die Auswahl der Richtungen, in denen die Eigenschaft von oben in einem Experiment gemessen wird, ist keine Funktion der Information ist, die dem Experimentator zur Verfügung stehen.

Das Gedankenexperiment des Free Will Theorem enthält eine Person, um deren freien Willen es geht, nämlich den Experimentator. Die Information, die dem Experimentator zur Verfügung steht, kommt aus der Vergangenheit. (Wir wissen nichts über die Zukunft, und über die Gegenwart wissen wir auch erst einen klitzekleinen Augenblick später bescheid.) Da steht also: Der Experimentator kann Richtungen auswählen, die nicht von der Vergangenheit sklavisch abhängen. Mithin hat er nach der Definition von Conway und Kochen freien Willen. Dort könnte also stehen:

Der Experimentator hat freien Willen.

In der Conclusio steht:

Die Messwerte des Elementarteilchens ist keine Funktion der Information, die dem Teilchen zur Verfügung stehen.

Und das heißt soviel wie:

Das Elementarteilchen hat freien Willen.

Zusammengesetzt also:

Wenn der Experimentator freien Willen hat, so hat auch das Elementarteilchen freien Willen.

Auf zum Beweis!

Mit diesen Erläuterungen ist hoffentlich klar, was der “Kauderwelsch” aus Conways und Kochens Aufsatz genau bedeutet. Damit sind alle Voraussetzungen geschaffen, um den Beweis auszuführen. Tatsächlich führen Conway und Kochen einen Beweis über Widerspruch: Sie sagen, daß, falls der Satz nicht gilt, ein Widerspruch zu den Axiomen SPIN, TWIN und FIN aus dem vorigen Blog-Posting entsteht. Der Satz gilt, wenn entweder Experimentator und das Elementarteilchen freien Willen haben, keiner von beiden oder nur das Elementarteilchen. (Ich empfehle noch einmal Chris' Posting zur Implikation zur Erläuterung.) Wenn er nicht gilt, dann würde das heißen, daß der Experimentator freien Willen hat, aber nicht das Elementarteilchen.

Eigentlich hatte ich versprochen, den Beweis in diesem Blog-Post zu erläutern, aber dieser hier ist schon lang genug – weiter geht es in diesem Folgeposting.